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autore: Gustav
Seibt |
Mit
Kulleraugen durchs Bullauge Letzter Versuch, |
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Das geschieht in der Mitte des Jahrhunderts, nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem die "Virginian" noch als Lazarettschiff gedient hatte. Mit ihm fliegt in die Luft der Held von Tornatores Film, der Schiffspianist mit dem Namen "Novecento" (Neunzehnhundert). Bereits dieser Name enthält alle Probleme und Unerträglichkeiten dieses ehrgeizigen Werks. Tornatores groß angelegte Schnulze ist der bisher energischste (und mutmaßlich isoliert bleibende) Versuch der gehobenen Kulturindustrie, dem Jahrhundertende kurz vor Torschluss doch noch etwas wie eine bittersüße, abschiedsschwere Fin-de-Siècle-Stimmung überzukippen. Wird die Rechnung aufgehen? Die Rezepte des Films sind erprobt, die von ihm mobilisierte Bildwelt ist dem Publikum vertraut, handwerklich ist er aufwändig gemacht, die Darsteller arbeiten zuverlässig. Doch er wird schon denen unerträglich sein, die auf alles Symbolische und Verkündigende gerade auf der Leinwand so reagieren wie auf das Geräusch, das ein Fingernagel erzeugt, der über den nackten Putz einer Wand gezogen wird, nämlich mit stärkstem körperlichen Unwohlsein. Und wer wohligen Kitsch sucht, der dürfte ihn zu lang und langatmig finden. Novecento heißt Novecento, weil er im ersten Jahr unseres Jahrhunderts geboren wurde. Er ist ein Findelkind, das Auswanderer auf einem Schiff von Europa nach Amerika hinterlassen haben und das ein Maschinist (ein Schwarzer, berstend lachender Wandschrank mit goldenem Herzen) aufzieht. Aus der Kellerwelt der Maschinen starrt das kleine weiße Kind mit seinen Kulleraugen durch die Bullaugen auf die große, große See. Nie wird Novecento das Schiff verlassen. Irgendwie bringt er sich das Klavierspiel bei, und bald ist er der weit über die Welt der Seefahrt hinaus berühmte Ozeanpianist, der Abend für Abend die luxuriöse Gesellschaft der oberen Decks (und zuweilen auch die rührend armen Auswanderer drunten) mit seinem überwiegend wehmütigen Spiel begeistert. Das Riesenseeschiff als Abbild der Klassengesellschaft, als Arche Noah der Bourgeoisie, dieses seit Fellinis "E la nave va" ausgereizte Muster wird von Tornatore im petrifizierten Zustand des humorlosen Klischees wiederholt. Verglichen damit war die Frack-Szene mit Leonardo di Caprio in "Titanic" ein Seesturm des Esprits. Novecentos Name legt nun nahe, diese Figur sei irgendwie eine Verkörperung des Jahrhunderts, und auch die ersten Szenen nähren diese Vermutung. Da geht es um die Ankunft in New York, um den ersten Anblick der Freiheitsstatue und um den Schrei erleichterter Begeisterung, den er bei den von der Fahrt entnervten Auswanderern auszulösen pflegt: "Amerika!" Man stellt sich auf eine Abfolge derartiger allegorischer Szenen ein, doch bleibt es bei dieser ersten. Peinlich getreu folgt Tornatore seiner Vorlage, einem Schauspielmonolog des italienischen Autors Alessandro Baricco. Baricco spielt aber nur nebenbei mit der Jahrhundertthematik, sein Stück ist ein Kammerspiel über die Weltangst eines Künstlers. Novecentos Unfähigkeit, sein Schiff mit dem jungfräulichen Namen zu verlassen, rührt von seiner Furcht vor der Unendlichkeit der Welt her, das ihm ein "zu großes Schiff" ist. Also bleibt er auf dem kleineren, immerhin aber auch filmgerecht großen Dampfer mit seinem Speisesaal, der Bar, den langen Gängen, den düsteren Schlafräumen fürs Personal und dem riesigen Flügel. Novecento
(bemerkenswert ausstrahlungslos dargestellt von Tim Roth) ist, das kann
nach den Vorgaben nicht anders sein, ein musikalisches Genie. Er kann
Noten spielen, "die es nicht gibt". In der dramatischsten
Szene des Films besiegt er in einem Wettkampf von epischem Zuschnitt den
"Erfinder des Jazz", den legendären Pianisten Jelly Roll
Morton. Die größte Kunst aber kommt aus einem liebenden Herzen. Seine
schönste Melodie spielt Novecento, als er sich in ein fremdes, ihm
fremdbleibendes Mädchen schüchtern-erfolglos verliebt. Tornatore verstrickt sich ganz in die Künstlerthematik des ungelebten Lebens, des ortlos über den Wassern schwebenden, der Liebe entsagenden Genies, das unerlösbar bleibt, das beim einzigen Versuch, das Schiff zu verlassen auf der Treppe stehen bleibt, gebannt vom schrecklichen Anblick eines King-Konghaft gewaltigen New York, um dann zurückzufliehen in den Mutterbauch des Ozeanriesen. Aber der Apparat, den der Regisseur in Bewegung setzt, die vielköpfige Komparserie, die Luxuswelt des alten seefahrenden Europas, steht dazu in einem nicht auflösbaren Missverhältnis. All das soll noch einmal auf eine ganze Gesellschaftsformation deuten, einen vom Meer verschlungenen Kontinent der Geschichte. Nur ist diese Gesellschaft bereits 1914 (beziehungsweise mit der Titanic 1912) untergegangen. Aber Novecentos Karriere erlebt ihren Höhepunkt in den zwanziger Jahren, um in den Dreißigern zu versiegen, als die Geschichte eine Wendung nahm, die mit Tornatores kulinarischen Mitteln nicht mehr erzählbar ist. Am Ende bleibt alles in dem Film Hohlform von Bedeutung, Symbol ohne Symbolisiertes, Wehmut ohne Abschied, Abschied ohne Ende, Ende ohne Schluss. Jedes Bild ist schön und sagt, dass es das sein soll. Kunst ist eine sublime Himmelsmacht, aber sie trifft vor allem die einfachen Menschen aus der Küche und dem Zwischendeck. Doch ein Klassenkampf findet eben so wenig statt wie sonst ein historischer Prozess in diesem Film. Wenn das unser Fin-de-Siècle ist, dann endet das zwanzigste Jahrhundert in völliger Bewusstlosigkeit, in Begriffsarmut und ästhetisch in leerer Sentimentalität. Doch zielt es immer noch auf Höheres, hat noch Ideale: die einer Backfischwelt, die offenbar unsinkbar ist. Die
Legende vom Ozeanpianisten (Novecento) |
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