Prof. Dr. Horst Seidl (Lateran Univ., Rom)

 

ÜBER DIE VIER UrsacheN in Aristoteles' Physik und Metaphysik

 

        In der gegenwärtigen Debatte über Evolution und Schöpfung, die beide in unversöhnlichen Gegensatz bringt, kann meines Erachtens die traditionelle Naturphilosophie mit dem Begriff der natürlichen Zweckursache gut vermitteln. Da sie in der Diskussion nicht berücksichtigt wird, scheint es mir lohnend, die einschlägigen Texte in Aristoteles' Schriften erneut durchzugehen, um den Begriff der Zweckursache wiederzugewinnen. Sie führen aber die Zweckursache immer zusammen mit der Form- und Bewegungsursache auf, die in ihrem Gegensatz zur Materieursache erörtert werden, so dass unser Thema im Folgenden die vier Ursachen in ihrem Zusammenhang sein werden, ohne auf das weitere Thema der Evolution und Schöpfung einzugehen, das übrigens in einer eigenen Publikation von mir untersucht worden ist.[1] Gleichwohl bleibt für unsere Bemühung, den traditionellen Zweckbegriff wiederzugewinnen, der aktuelle Hintergrund der moderne, von Bacon und Hume begründete und bis heute bei Popper u.a. fortwirkende Empirismus, der auch im Evolutionismus jede nicht-materielle Ursache als ein Idol, ein Scheingebilde, ablehnt. Doch scheint mir für die Erklärung der Evolution der Natur, mit der Entwicklung der Lebewesen, das Verständnis der in ihr wirksamen Zweckursachen unentbehrlich.

1)   Vorbemerkung zu Aristoteles' Realismus mit der Seinsanalogie
             in seiner Lehre von den Ursachen

        Bevor ich mich den einschlägigen Texten von Aristoteles' Lehre über die vier Ursachen der Dinge zuwende: der Materie-, Form-, Bewegungs- und Zweckursache, möchte ich eine Vorbemerkung zu dem in ihr enthaltenen Realismus und der Seinsanalogie voranschicken; denn die vier Ursachen treten analog auf allen Stufen des Realen auf, nicht nur in den materiellen Naturdingen, sondern auch im seelischen und im Erkenntnisbereich. Diese Analogie verdanken sie ihrem Bezug zum Sein der Dinge, d.h. alles Realen, das von analoger / transzendentaler Allgemeinheit ist. Die Wesenheit jedes Dinges macht ja seine konstitutiven Ursachen aus, wodurch jedes spezifisch das ist, was es ist: der Hund ein Hund, das Pferd ein Pferd und der Mensch ein Mensch. Sie ist vom Allgemeinbegriff im Intellekt verschieden.

Platons Abtrennung der Wesenheit (idéa) von den Einzeldingen ist kein Idealismus; er unterscheidet sie vom allgemeinen Begriff im Intellekt (nóema). Da sie aber nur durch Allgemeinbegriffe erkannt wird, und das Allgemeine zum Einzelnen in Gegensatz steht, sah er sich gezwungen, die Wesenheit von den Einzeldingen abzutrennen. Aristoteles hat Platons Fehler erkannt und korrigiert, dass nämlich die Wesenheit nicht in der Weise ist, wie das Allgemeine im Intellekt ist, nämlich als "Eines über Vielem", sondern in der Weise, dass sie in jedem Einzelding ist.

Aristoteles vermag die Wesenheit in jedem Einzelding anzusetzen, weil er sie mit dessen Sein verbindet, wie auch der von ihm eingeführte Begriff des "Soseins" (tò tí ên eînai) anzeigt. Während für Platon die Einzeldinge nur flüchtige Erscheinungen waren, erfasst sie Aristoteles nun richtiger als je für sich bestehendes substantiell Seiendes von komplexer Natur, so dass die Dinge durch die Materie eine sinnlich wahrnehmbare Seite haben, mit akzidentellen, wechselnden Erscheinungen, und durch die Form-Bewegungs-Zweckursachen eine intelligible, wesentliche Seite, die der Intellekt erforscht. Die Materie (ein philosophischer Begriff aus latein. materia, materies, für griech. hypokeímenon, in der Bedeutung als Substrat, aus dem die Dinge hervorgehen) ist als eine Wesensursache verschieden von der sinnlich wahrnehmbaren Materie.

        Anmerken möchte ich, dass Husserls Phänomenologie in fruchtbarer Weise die erlebbaren, innerseelischen Phänomene der Lebenswelt der Menschen erforscht, wobei an die Stelle der Phänomene der Außendinge die innerseelischen treten, und das schlichte Sein / Dasein / Etwassein der Außendinge "eingeklammert" wird, als für diese Forschung uninteressant. Da gerade vom schlichten realen Sein der Erfahrungsdinge die klassische Ontologie vom Seienden als solchen ausgeht, ist auch sie phänomenologisch ohne Interesse, weil ihre Kategorien keine Beschreibung von Erlebnissen ermöglichen.

Die Dinge sind, in ontologischer Bedeutung, nicht die husserlschen Sachen, sondern alles real Seiende (res), das die Objekte wie auch das Subjekt umschließt, dank seiner analogen Allgemeinheit.

Das Sein der Dinge ist nicht erlebbar wie die sachhaltigen Phänomene, sondern ist uns nur bewusst. Dabei ist Bewusstsein nicht als Erlebnisstrom zu verstehen, sondern als ein einfacher, intuitiver, d.h. rezeptiver Akt des Intellekts, der das Sein der Dinge unmittelbar erfasst, "berührt".

Dieser unmittelbare Realismus der traditionellen Ontologie / Metaphysik ist als naiv kritisiert worden, weil sie unreflektiert vom Seienden spreche. Nun fordert sie zwar ein unmittelbares Verständnis vom Seienden (Thomas: ens est primum notum), aber diese Feststellung selbst ist Ergebnis einer epistemologischen Reflexion (die schon auf Aristoteles' Analytica posteriora I, 1, zurückgeht).[2]

        Edith Stein hat in Endliches und ewiges Sein auf über hundert Seiten die aristotelische Wesenheit (tò tí ên eînai) phänomenologisch zu interpretieren versucht, mit dem negativen Ergebnis, dass sie noch zu abstrakt bleibe. Hierzu möchte ich kurz nur Folgendes bemerken: Nach Aristoteles' Abstraktionslehre sind abstrakt die Allgemeinbegriffe im Intellekt, die sich aber auf die Wesenheit in den Einzeldingen beziehen. Die abstrakte Erkenntnis sieht zwar von der sinnlich konkreten Seite der Erfahrungsdinge ab, entfernt sich jedoch nicht von ihnen. Im Gegenteil, je abstrakter eine Wesenserkenntnis, desto tiefer dringt sie in die konkreten Einzeldinge ein, nämlich zu ihren konstitutiven Ursachen. Voraussetzung für den Abstraktionsprozess, der vom sinnlich Konkreten zu den Vorstellungen und Erfahrungen bis zum begrifflich Abstrakten, Allgemeinen fortschreitet, ist das Sein der Dinge, das wir nicht durch Abstraktion gewinnen, wie ein abstraktes, gattungsmäßig Allgemeinstes, sondern unmittelbar durch den schlichten Bewusstseinsakt erfassen, wie gesagt. Es liegt der Abstraktion zugrunde.

2)   Der Zusammenhang der vier Ursachen: der Materie-, Form-,
             Bewegungs- und Zweckursache, in
Metaph. I, 3 ff

        Der unmittelbare Realismus in Aristoteles' Lehre von den Ursachen zeigt sich darin, dass sie mit dem Sein und Sosein der Dinge verbunden sind. Die Zweckursache, die uns besonders interessiert, erörtert Aristoteles zusammen mit den anderen Ursachen: der Materie-, Bewegungs- und Formursache, zu welchen er durch das Studium der Vorsokratiker und Platons gelangt ist, wie er in seinem Rückblick auf sie in Metaphysica, Buch I, Kap. 3 ff, bezeugt. Er stellt sie dort paarweise so zusammen, dass der Materie- die Formursache komplementär gegenübertritt, und der Bewegungs- die Zweckursache; denn die Formursache verhält sich zur Materie wie das bestimmende Prinzip zum unbestimmt-bestimmbaren, und die Zweckursache bezieht sich auf die Bewegungsursache wie das die Bewegung auf das Ziel richtende Prinzip zu dem sie beginnenden.

        Materie- und Formursache sind für das Sein / Sosein der Dinge verantwortlich, genau genommen für ihr potentielles und aktuelles Sein, die Bewegungs- und Zweckursache hingegen für das Entstehen der Dinge, letztlich aber auch für ihr Sein; denn im Entstehen oder Werden streben sie vom potentiellen zum aktuellen Sein, das also der Zweck des Werdens ist. Daher bezeichnet Aristoteles den Zweck, télos, auch als entelécheia oder enérgeia, d.h. als "Im-Zweck-sein", "Im-Werk-sein", im Unterschied zu Handlung und Bewegung; denn in der Bewegung aller Art, zu der auch das Werden gehört, durchlaufen die Dinge von einem Anfangs- zu einem vollendeten Endstadium (télos = Ende und Zweck) noch unvollendete Zwischenstadien. Dagegen sind die Dinge, sofern im aktuellen Sein, hier und jetzt vollendet.

        In dieser ontologischen Hinsicht gehen somit die drei Ursachen: Form-, Bewegungs- und Zweckursache, als nicht-materielle in eins zusammen und treten der Materieursache gegenüber. Bei den Lebewesen ist diese der Leib (genauer: seine konstitutiven Elemente), die anderen drei aber die Seele. Jedenfalls können wir die Zweckursache bei Aristoteles nicht isoliert für sich untersuchen, sondern müssen ihren Bezug zur Bewegungsursache wie auch zur Materie berücksichtigen. Daher ist im Folgenden zuerst Aristoteles' Erörterung zur Materieursache in den Schriften Physica I und Metaph. I bzw. VII durchzugehen, sodann die zur Bewegungs- und Zweckursache in Phys. II, sowie die zur Zweckursache in De generatione anim. und in De anima.[3]

        In den genannten Schriften setzt sich Aristoteles ausführlich mit den Vorsokratikern auseinander, soweit sie eine materialistische Sicht auf die Natur haben, auf die sich dann auch der Empirismus der Sophisten stützt, und die den Blick auf nicht-materielle Ursachen verhindert.

Angemerkt sei die Kritik moderner Interpreten an Aristoteles, dass er die Vorsokratiker wie Materialisten darstelle, während sie doch ihre Forschung nach dem Prinzip bzw. den Prinzipien der Natur auf ein göttliches Wesen richteten. Die Kritik bedenkt jedoch m.E. nicht, dass der philosophische Wert der Vorsokratiker nicht in ihrem religiösen Ausdruck liegt, den übrigens auch Aristoteles bemerkt hat - er nennt sie theólogoi -, sondern in ihrem Streben nach ursächlicher Erkenntnis, womit sich ja der überaus anerkennenswerte Übergang "vom Mythos zum Logos" vollzieht, d.h. von der Religion zur Philosophie. Es ist aber unleugbar, dass die meisten Vorsokratiker tatsächlich nicht über eine materielle Bestimmung des Prinzips / der Prinzipien hinausgekommen sind.

3)   Die Bestimmung der Materieursache in Phys. I und Metaph. VII, 3

        In Physica, Buch I, gelangt Aristoteles zur Definition der Materie durch eine breit angelegte Untersuchung der Ansichten von Vorsokratikern, die sich auf die Veränderungen der Naturdinge aus konträren Gegensätzen richtet, denen die Dinge als Drittes zugrunde liegen. Da sie aber die Dinge mit den materiellen Elementen gleichsetzen, aus denen sie zusammengesetzt sind, unterscheiden sie nicht das Entstehen (génesis) der Dinge von ihren eigenschaftlichen Veränderungen (alloíosis), als sei z.B. die Entstehung eines Menschen nichts anderes als eine Veränderung der ihn bildenden Elemente, woran Aristoteles Kritik übt. Er stellt dann den Unterschied heraus: Den Veränderungen zwischen konträren Gegensätzen liegt das substantielle Ding zugrunde, dagegen führt das Entstehen des Dinges selbst zum Besitz seiner substantiellen Form aus dem vorhergehenden Zustand des Nicht-Besitzes, der Privation. Dem substantiellen Entstehen des Dinges selbst liegt nicht das Ding, sondern seine Materie zugrunde. Dies bedeutet, dass das Naturding durch den Zusammentritt zweier Ursachen entsteht, der Materie- und der Formursache, die zugleich Bewegungs- und Zweckursache ist. Die Materie wird dann, Kap. 9, definiert als

"das erste Zugrundeliegende (Substrat) für jedes Ding, aus welchem als immanentem (bleibenden Prinzip) etwas nicht akzidentell entsteht. Und wenn es vergeht, wird es in dieses (erste Substrat) kommen", 192a 31-32.

        Gehen wir zu Metaph. Buch I, Kap. 3, über, so bemerken wir, dass Aristoteles seine eigene Materie-Definition in Phys. I, 9, an die Ansicht von Vorsokratikern zur Natur anlehnt, sie aber entscheidend korrigiert. Er referiert in Kap. 3 ihre Ansicht über das substantielle Naturding, wie folgt:

"Woraus nämlich alles Seiende ist und als Erstem entsteht und worein es als Letztes vergeht, wobei die Substanz (ousía) beharrt und sich (nur) in den Eigenschaften wandelt, dies ist, so sagen sie, Element (stoicheîon) und Prinzip (arché) des Seienden. Und deshalb werde nach ihrer Ansicht nichts, noch vergehe etwas, weil die so beschaffene Natur immer beharre: wie wir ja auch nicht sagen, Sokrates werde (entstehe) schlechthin, wenn er edel und gebildet werde, noch auch, er vergehe schlechthin, wenn er diese Haltungen verliere, weil das Subjekt, Sokrates selbst, beharrt, so ist dies auch bei keinem anderen Seienden der Fall; denn es müsse (nach ihrer Lehre) eine Natur geben, sei es eine oder mehrere, woraus das Übrige entstehe, während sie selbst beharre", 983b 8-18.

Der Text zeigt, dass das Zugrundeliegende zur Entstehung eines Naturdinges nach Aristoteles, wie auch nach den Vorsokratikern, die Materie, d.h. die materiellen Elemente sind, welche aber von den Vorsokratikern irrtümlich für die alleinige Natur überhaupt gehalten werden, so dass die entstehenden Dinge nichts anderes als akzidentelle Veränderungen der einen Natur, der materiellen Elemente, sind. Hieran übt daher Aristoteles, in Phys. I-II, Kritik und legt dar, dass zwischen der eigenschaftlichen Veränderung und der Entstehung der Naturdinge ein wesentlicher Unterschied besteht, und dass bei der Entstehung der Lebewesen zur Materieursache die Form-, Bewegungs- und Zweckursache hinzukommen muss.

        Der vorsokratische Irrtum führt konsequent in Metaph. Buch VII, Kap. 3, bei der Erörterung über die Substanz (ousía) zu dem Argument, dass die alleinige Substanz die Materie sei. Nachdem Aristoteles zuerst vier Bedeutungen der ousía - die wörtlich: Seiendheit, Entität, Substanz bedeutet - angeführt hat, nämlich als

1. das Sosein (tò tí ên eînai),

2. das Allgemeine,

3. die Gattung,

4. das Zugrundeliegende (hypokeímenon),

wendet er sich zunächst der vierten Bedeutung zu und erschließt das Zugrundeliegende wiederum nach drei Bedeutungen:

a) als das materielle Substrat,

b) als die Form und

c) als das konkrete, aus beiden konstituierte Einzelding. Es erweist sich, dass die 4. Bedeutung der Substanz als Zugrundeliegenden unzureichend ist, da sie nur aussagenlogisch bestimmt ist, nämlich als letztes Aussagensubjekt, als

"das, wovon alles übrige ausgesagt wird, was aber selbst von nichts anderem mehr ausgesagt wird", Kap. 1, 1029a 8-9 (siehe auch Categoriae, Kap. 5).

Das dann folgende Argument, 1029a 10-26, hat meines Erachtens als Hintergrund eine sophistische Position (mit Heraklit als Grundlage), welche die Dinge als voll von Widersprüchen sieht, was auf einen Relativismus, Skeptizismus und einen vorsokratischen Materialismus hinausläuft. In diesem Sinne würde die rein aussagenlogische Definition der Substanz zu ihr als Materie führen. Das Argument lautet so: Wenn alles, was von einem Ding ausgesagt werden kann - seine qualitativen Eigenschaften, Wirkungen und Vermögen, ferner Länge, Breite, Tiefe und seine quantitativen Eigenschaften - weggenommen werden, bleibt nur die Materie übrig; denn die übrigen Eigenschaften werden von der Substanz, diese aber von der Materie ausgesagt. Dabei wird die Materie, so möchte ich ergänzen, mit den Einzeldingen gleichgesetzt, so dass die Natur, Substanz (ousía), in nichts anderem liegt als in den materiellen Elementen.

        Den Irrtum des Arguments behebt Aristoteles durch die ontologisch-metaphysische Erschließung des Einzeldinges in seine konstitutiven Ursachen: in die Materie einerseits und die Formursache andererseits, die zugleich auch Bewegungs- und Zweckursache ist. Demnach ist die Formursache in höherem Grade ousía / Substanz als die Materie und das aus beiden Zusammengesetzte, a 26-30. Wie nun der aussagenlogische und der metaphysische Gesichtspunkt sich zueinander verhalten, geht aus Metaph. V 8 hervor, der die verschiedenen Bedeutungen von ousía / Substanz / Einzelding aufführt, auch die der Materie- und der Formursache, und dazu feststellt, dass die Formursache der Materie "innerhalb des letzten Aussagensubjekts" zugesprochen wird (!!): entòs toû eschátou hypokeiménou, 1017b 14-16.

        Somit wird die Form- von der Materieursache, auf metaphysischer Ebene, in ganz anderer Weise "ausgesagt", als die Eigenschaften vom Einzelding, auf der logischen Aussagenebene, z.B. "Dieser Baum ist grün". In der formallogischen Struktur: S ¾¾ P, steht S als Subjekt für einen Gegenstand, P als Prädikat für eine Eigenschaft, das Symbol der Kopula für die Verbindung zwischen beiden. In dieser Aussage ist das Subjekt das vollbestimmte Einzelding, dem einzelne Eigenschaften entnommen und im Prädikat zurückgegeben werden. Ganz anders bei einer metaphysischen Aussage, welche die Form der Materie zuschreibt. Sie wird nicht als Prädikat von der Materie als dem Subjekt ausgesagt, als würde sie der Materie eine Bestimmung zurückgeben, die in ihr liegt. Vielmehr verhält sich die Materie als das unbestimmte Prinzip zur Form als dem bestimmenden. Logisch gesehen, haben metaphysische Aussagen die Form von Tautologien: S ¾¾ S; denn sie zeigen Verhältnisse innerhalb des letzten Aussagensubjekts an. So wird z.B. vom Subjekt Sokrates als potentiell Seiendem, gemäß seiner Materie, Sokrates als aktuell Seiendes, gemäß der Formursache, zugesprochen.

Die Aussagenstruktur tì katà tinòs, ist also (anders als in E. Tugendhats gleichnamiger Untersuchung) im logischen Bereich von der im metaphysischen Bereich (Metaph. VII 17) zu unterscheiden, wo es um die Zuschreibung der Form zur Materie geht.

Aristoteles deckt, in Metaph. VII 3, den Irrtum im vorsokratischen Argument auf, das zur Materie als der alleinigen Substanz führt, indem er das letzte Aussagensubjekt, das Einzelding, auf seine konstitutive Materie- und Formursache hin erschließt, wiewohl er sich der vorsokratischen Argumentation bedient, wenn er die Materie in dieser Weise definiert:

"Ich nenne Materie das, was an sich weder ein Etwas, noch ein quantitatives, noch etwas anderes ist, wodurch das Seiende bestimmt wird; denn es gibt etwas, wovon jedes von diesen Bestimmungen ausgesagt wird, dessen Sein von jeder der Kategorien verschieden ist; denn das übrige wird von der Seiendheit (ousía) ausgesagt, diese aber von der Materie, so dass das Letzte an sich weder ein Etwas, noch ein Quantitatives, noch etwas anderes ist", 1029a 20-25.

Man beachte, dass für die Vorsokratiker die Materie (die Elemente) nicht "dem Sein nach von den (ausgesagten) Bestimmungen verschieden", sondern gerade das von ihnen bestimmte Seiende ist.

        Cl. Baeumker hat in seinem bekannten Buch über die Materie bei Aristoteles[4] die zwei Definitionen in Phys. I 9 und Metaph. VII 3 in Gegensatz zueinander gesehen, als ob ihnen zwei verschiedene Konzeptionen des Aristoteles zugrunde lägen: eine reale in der Physik, die mit den materiellen Elementen identisch sei, und eine metaphysische, die zu etwas völlig Unbestimmtem, einem bloßen Gedankending führe. Damit verknüpft sich das Problem der prima materia (próte hýle), das in der Scholastik viel erörtert wurde und sich in etwas rein Gedankliches zu verflüchtigen droht. Doch scheint mir dies nicht so. Nichts hindert, die metaphysische Definition der Materie mit den Elementen gleichzusetzen, da sie sich zu den entstehenden Dingen gänzlich unbestimmt verhalten; sie sind ja weder Baum, noch Hund, noch Mensch. Ferner übersieht man, dass Aristoteles in Metaph. Buch V, 4 (1014b 32, 1015a 7), die Elemente selber "erste Materie" nennt. Nur in De gener. et corr. II 1 spricht er einmal von dem Zugrundeliegenden der Elemente selbst als "erster Materie" (329a 24). Genau genommen geht es bei dieser nicht um die Materieursache der Naturdinge, sondern um die Materieursache der Materieursachen der Dinge (!); denn für die Dinge sind, wie gesagt, die Elemente ihre Materieursachen. Ferner betont Aristoteles dort ausdrücklich, dass die Materie der Elemente nicht abgetrennt (achóriston, 329a 31) für sich vorkommt, sondern immer nur mit den Eigenschaften der Elemente: Trocken, Feucht, Kalt und Warm. An sich  ist die Materie das Unbestimmte, Unerkennbare.

        Eine dritte Definition der Materie finden wir in Metaph. VIII 1, die sie als Potenz-Prinzip der entstehenden Dinge bezeichnet und dem Akt-Prinzip gegenüberstellt, das in der Form-Bewegungs-Zweckursache liegt.

4)   Die Natur als Bewegungs- und Zweckursache in Phys. II
             sowie
Metaph. VII und XII

        Damit kommen wir nun zur Bestimmung dieser drei Ursachen. Ich beschränke mich auf die Stellen in Phys. II 1-2 und Metaph. VII 17, sowie XII 4.

        An der ersten Stelle erhellt die Notwendigkeit, neben der Materie, dem unbestimmt-bestimmbaren Prinzip, auch diese Ursachen als das bestimmende Prinzip anzuerkennen, aus der Ergänzungsbedürftigkeit der Materie selbst. Da sie sich in der Entstehung der Naturdinge unbestimmt verhält - denn es ist für die Elemente gleichgültig, ob ihre Zusammensetzung einen zweckvollen Organismus oder ein Monstrum ergibt -, muss es für die zweckvollen Entstehungsprozesse ein bestimmendes Prinzip geben, das sich nun in der Form-, Bewegungs-, Zweckursache erweist.

        Es begegnet uns noch ein weiteres wichtiges Argument, welches die Annahme dieser Ursachen notwendig macht, dass nämlich die belebten Naturdinge mehr sind als die Summe ihrer materiellen Teile. Gegen die vorsokratische Lehre (wie besonders die atomistische), dass die Dinge nur eine Anhäufung materieller Elemente (Atome) seien, wendet Aristoteles zu Recht ein, dass jedes Naturding durch eine Ordnung und Einheit der Elemente bestimmt ist, was deutlich wird, wenn das Lebewesen vergeht; denn dann löst sich die Ordnung bzw. die Einheit auf, während die Elemente weiter bestehen bleiben.

        In Metaph. VII, 17, findet sich dasselbe Argument unter dem Gesichtspunkt der Definition, nun erläutert an Hand der Artefakten: Die Definition z.B. des Hauses, die nur seine materiellen Teile angibt - Fundament, Wände, Dach -, ist ungenügend; sie zeigt nicht sein Wesen an, das nur durch die Angabe des Zweckes erkennbar wird, nämlich ein Schutz für Mensch und Sachen gegen das Wetter zu sein. Und die Zweckmäßigkeit erfordert eine Zweckursache.

        Zur Formursache führt folgendes Argument: Bei allen Dingen von einer einheitlichen Ordnung muss es außer den Elementen noch eine andere Ursache geben, die für ihren Aufbau zu geordneter Einheit verantwortlich ist. Wäre diese Ursache wieder ein materielles Element, oder aus mehreren Elementen zusammengesetzt, dann müsste sie sich mit den anderen Elementen wieder zu einer geordneten Einheit des Ganzen zusammenfügen, die weiter erklärungsbedürftig bliebe, so dass sich die Frage nach deren Ursache aufs Neue stellte, und so fort ad infinitum. Daher muss die Ursache der geordneten Einheit der Dinge - der Lebewesen, wie auch der Artefakten - eine nicht-materielle sein und d.h. eine Formursache. Dasselbe Argument wird in Buch VIII, 3, wiederholt:

"denn die Zusammensetzung und Mischung (der Elemente) ist nicht selbst eines der Elemente, von denen sie Zusammensetzung und Mischung ist", 1043b 7-8. So ist auch der Mensch nicht bloß die Zusammensetzung seiner materiellen Teile, "sondern es muss etwas außer ihnen geben, wenn sie die Materie ausmachen, und dieses kann weder (wiederum) Element sein, noch aus einem Element, sondern muss Substanz (Wesen) sein. Dies lassen sie (die anderen Philosophen, wie die Vorsokratiker) aber außer Acht, wenn sie nur von der Materie sprechen. Wenn nun dies die Ursache des Seins und der Substanz ist, so kann man es auch selbst Substanz (Wesen) nennen".

        Kehren wir zu Phys. II 1-2 zurück, so zeigt sich, dass bei der Erörterung der Form-, Bewegungs- und Zweckursache die letztere die für die Natur am meisten eigentümliche ist. Es heißt dort:

"Die Natur ist Zweck und Worum-willen. Dies ist das Letzte... Nicht alles und jedes will aber der letzte Zweck sein, sondern das Beste", 194a 28-29.

        Ferner erwähnt Aristoteles ein uns modern anmutendes, gegnerisches Argument, 198b 22-27, das zweckvolle Vorgänge durch rein materielle Wirkfaktoren erklärt, ohne Zweckursache. Als Beispiel wird die zweckvolle Anordnung im Gebiss genannt, mit den Schneidezähnen vorne und den Mahlzähnen hinten, um die Nahrung zu zerschneiden und zu zerkleinern, welche die Gegner sich durch Zufall so bilden und anordnen lassen. Aristoteles erwidert darauf zu Recht, dass die Regelmäßigkeit, mit der sich diese Anordnung der Zähne bei jedem neuen Lebewesen immer wieder bildet, jeden Zufall gänzlich ausschließt.

        Hinzu kommt eine Reihe von Stellen, welche die Natur als Zweckursache aufzeigen, nicht nur in den Physica, sowie in den tierkundlichen Schriften, wie in De generatione animalium, sondern auch in De anima, wo die Seele für die Form-, Bewegungs- und Zweckursache steht.

5)   Die menschliche und die göttliche Vernunft
            als Zweckursache der Natur

        Im Vorhergehenden haben wir die Zweckursache in Aristoteles' Naturphilosophie, Physica, betrachtet. Doch tritt auch in den Metaphysica die Zweckursache auf, und zwar in einer anderen, neuen Bedeutung. In sehr bemerkenswerter Weise spricht Aristoteles an wenigen Stellen von einer zweifachen Zweckursache. Angedeutet ist die Unterscheidung schon in Physica II 2, an der oben zitierten Stelle: "Die Natur ist Zweck und Worum-willen", die so fortfährt:

"...weil auch die Künste den Stoff bereiten, die einen schlechtweg, die anderen als gut bearbeiteten, so gebrauchen wir ihn auch, wie wenn alles um unsertwillen vorläge; denn in gewisser Weise sind auch wir Zweck. Von zweifacher Bedeutung ist nämlich das Worum-willen", 194a 28-34.

Man kann bei dem Stoff (hyle) an das Holz von Bäumen denken, die nach ihrer immanenten Zweckursache vom Samen zur ausgeformten Pflanze gewachsen sind, nun aber als Material für den Menschen als neuem, den Naturdingen transzendenten Zweck nutzbar werden.

        Dass die menschliche Vernunft Zweck für die Natur ist, spricht Aristoteles in Politica, Buch VII, 15, ausdrücklich aus:

"Der Verstand und die Vernunft sind uns Zweck der Natur" (hò dè lógos hemîn kaì hò noûs tês phýseos télos), 13334b 15.

Die Stelle handelt über die Erziehung des jungen Menschen von den drei Gegebenheiten aus: Natur, Gewohnheit, Verstand (phýsis, éthos, lógos) und wirft die Frage auf, ob man früher den Verstand oder die Gewohnheit ausbilden soll. Die Antwort lautet, dass man mit dem beginnen muss, was in der Entstehung am Beginn ist, also nicht mit dem Letzten, dem Zweck. Nun ist aber der Verstand der Zweck in der Natur, wobei Natur für den Leib und die unvernünftige, triebhafte Seele steht. Daher darf die Erziehung beim jungen Menschen nicht mit Ausbildung des Verstandes beginnen, sondern vielmehr mit der das Leibes, dann mit der des unvernünftigen, triebhaften Seelenteiles, der durch gute Gewohnheit gebildet wird. Die Entwicklung verläuft auf verschiedenen Stufen, vom Leiblichen zum Seelischen, und vom Unvernünftigen zum Vernünftigen, wobei der erreichte Zweck der je niederen Stufe der Beginn für den zu erreichenden Zweck der je höheren bildet, wie die dem Zitat vorhergehende Aussage feststellt:

"Da die Entstehung von einem Anfang (arché) ausgeht, und das Ende / der Zweck (télos) von dem einem Anfang der Anfang von einem anderen Ende / Zweck ist..."

Um die Aussage vom Verstand bzw. der Vernunft als dem Zweck der Natur voll zu verstehen, muss man bedenken, dass die Natur an sich schon ein Inbegriff von Zweck ist, so dass die Vernunft als Zweck der Natur, genau genommen, ein Zweck eines Zweckes ist (!), eine Zweckursache von zweiter Ordnung und insofern von anderer, höherer Bedeutung als die der Natur als tieferer, erster Zweckursache.

        Auch in De anima II 4 deutet eine Stelle die Unterscheidung in einen zweifachen Zweck an:

"Alle (Lebewesen) streben am Ewigen und Göttlichen nach Kräften teilzuhaben; denn alle streben nach jenem und alle, die nach ihrer Natur handeln, handeln um seinetwillen. Der Zweck ist aber ein zweifacher: der eine, worum willen (etwas ist), der andere, wofür (etwas ist). Da die Lebewesen nicht mit dem Immerwährenden und Göttlichen kontinuierlich Gemeinschaft haben können, hat jedes mit ihm (nur) Gemeinschaft, soweit es daran teilzuhaben vermag, das eine mehr, das andere weniger", 415b 2-7.

Der Text stellt die Unterscheidung der zweifachen Zweckursache in den metaphysischen Zusammenhang. Während die Stelle in Phys. II 2 den Menschen als das Wofür der Naturdinge bezeichnet, auf den sie hingeordnet und nützlich sind, betrachtet nun die Stelle in De an. II 4 alle Dinge, einschließlich des Menschen, als auf die erste göttliche Ursache hingeordnet, die das Wofür ist, als transzendenter Zweck, für den alles da ist, oder als höchstes, ewiges Gutes, an dem alles nach Kräften teilzuhaben strebt. Es kommt hier auch noch der (schon bei Platon bedachte) Gesichtspunkt hinzu, dass die Natur durch die fortwährenden Entstehungen, mit der sich Arten der Lebewesen erhalten, an der Ewigkeit der ersten göttlichen Ursache teilhaben.

        Auf die zweifache Zweckursache kommt Aristoteles dann in Metaph. XII, 7, zurück, wo er, nach dem Beweis der Existenz der ersten Seinsursache, ihr Wesen näher bestimmt, das in ihrem Seinsakt liegt. Dieser ist zugleich reine Vernunftaktualität, als göttliches Leben. Diese Erstursache ist das im höchsten Maße Gute, Erstrebbare und Erkennbare (prôton noetòn kai orektón). Da von der Erstursache die gesamte Natur abhängt, ist sie auch ihr Zweck, jedoch nicht in der Weise der immanenten Zwecke, des Worum-willen in den Naturdingen, sondern eines transzendenten Zweckes, des Wofür von allem. Die wichtige Stelle lautet, 1072b 1-3:

"Dass es das Worum-willen im Unbewegten gibt, zeigt die Einteilung; denn es gibt das Worum-willen für etwas <und> von etwas, von welchen <die erste, göttliche Ursache> das eine ist, das andere nicht ist" (ésti gàr tinì to hoû héneka <kai> tinós, hôn to men ésti, to d' ouk ésti).

In der Aussage: "Es gibt das Worum-willen für etwas <und> von etwas", bedeutet "das Worum-willen (= der Zweck) von etwas" eindeutig den Naturzweck von jedem Naturding, so dass das indefinite Pronomen "für etwas" ebenso eindeutig auf eine höhere Zweckursache verweist, eben die göttliche, transzendente Zweckursache, für welche die Naturdinge in ihrem Worum-willen, in ihrem vollendeten Zweck wiederum in Dienst stehen und ihm untergeordnet sind.

Daher vermag ich der Interpretation von D. Ross, die sonst sehr zuverlässig ist, an der vorliegenden Stelle nicht zu folgen, wenn er das indefinite Pronomen "von etwas" (tinòs) auf die göttliche Ursache bezieht und das "für etwas" (tinì) auf die Naturdinge.

Bestätigt wird unsere Interpretation auch durch die Parallelstellen, an welchen Aristoteles die Naturdinge im Dienst für den Menschen und seinen Verstand sieht, auf den sie als höheren Zweck hingeordnet sind. Hinzu kommen Stellen in den Ethica Nicom., welche von dem Guten an sich und dem Guten für uns oder für den Menschen sprechen.

        Eine neue Bedeutung nimmt in Metaph. XII, 7, nicht nur die Zweckursache an, sondern auch die Bewegungsursache, welche in einer ersten Bedeutung als Naturursache dem Bereich des Bewegten angehört, nun aber, im Bereich des Unbewegten, auf die göttliche Erstursache bezogen wird, da sie "wie ein Geliebtes bewegt". Das Geliebte, Erstrebte, ist das Gute, der Zweck, so dass hier die Bewegungs- mit der Zweckursache zusammenfällt. Vorbereitet ist dieser Gesichtspunkt schon in De anima III, 9-10, wo Aristoteles von der Seele als erster, natürlicher Bewegungsursache im Lebewesen, auch im Menschen, übergeht zu ihrem Objekt als dem ersten Bewegenden (prôton kinoûn), das seinerseits die Seele bewegt. Die neue (psychische) Bewegung im (physisch) Unbewegten, die aus Distanz vom Objekt zum Strebenden hin erfolgt, überträgt Aristoteles nun auf das Verhältnis der göttlichen Erstursache zu den intelligenten Seelen der Himmelssphären (die unbewegten Beweger), um zu erklären, wie sie als transzendente Zweckursache im Unbewegten das ihr unterstehende Seiende bewegt: "nämlich wie ein Geliebtes".

        Mit dieser Erklärung bleibt die Transzendenz der ersten göttlichen Ursache gegenüber der Welt gewahrt. Ohne die Unterscheidung der göttlichen Bewegungs- und Zweckursache von der in den Naturdingen würde die Metaphysik in einen naturalistischen Pantheismus abgleiten, der schon bei Aristoteles' Schüler Theophrast zu beobachten ist, ferner dann auch in der Stoa.

        Der Gesichtspunkt der transzendenten Zweckursache schließt das Metaph.-Buch XII, Kap. 10, ab, das die göttliche Erstursache als das höchste Gute so auffasst, dass die gesamte Natur auf es hingeordnet ist und von ihm so abhängt, wie das Heer vom Feldherrn. Er gibt dem Heer die Ordnung, ohne Bestandteil von ihm zu sein. Vielmehr steht er ihm voran.

        Wichtig ist bei der Rangordnung der natürlichen Ursachen unter die höchste der Buch XII, 4-5, eingeführte Gesichtspunkt der Analogie; denn dieselben Ursachen treten doch als je eigene auf verschiedenen Stufen auf. Dabei betont Aristoteles, dass die Ursachen als analog gemeinsame nicht von gattungsmäßiger Allgemeinheit sind (denn das Allgemeine ist keine Substanz), sondern immer einzelne bleiben. Dasselbe gilt auch von der ersten göttlichen Ursache: sie ist kein Allgemeines, sondern ein Einzelnes.

 

6)   Schlussbemerkung

        Um abschließend auf Francis Bacon zurückzukommen, den ich eingangs wegen seiner Leugnung der aristotelischen Form- und Zweckursachen in den Naturdingen erwähnt habe, so kann man hierfür insofern Verständnis haben, als er nur an der Physik interessiert war, welche die materiellen Verhältnisse in den Dingen erforscht. Und hier sind tatsächlich noch keine Form-, Bewegungs- und Zweckursachen zu finden. Aber auch Aristoteles nimmt solche nicht im unbelebten materiellen Bereich an. Vielmehr haben für ihn die Elemente nur materielle Formen - die Eigenschaften des Trocknen, Feuchten, Kalten und Warmen -, die keine, von der Materie verschiedenen immateriellen Formursachen sind.

Daher ist auch die Kritik an Aristoteles' Naturphilosophie als "Hylomorphismus" unangemessen, der nur auf die Vorsokratiker zutrifft, die lediglich die Elemente und deren "Formen", d.h. materielle Eigenschaften kennen.

Ferner ist die Frage nach der Ursache der Auf- und Abwärtsbewegungen der materiellen Körper für Aristoteles nicht leicht zu beantworten. Nach langen Erörterungen kommt er zu dem Ergebnis, dass sie in dem Leichte und Schwere Hervorbringenden und in dem das Hindernis Entfernenden liegt, so dass z.B. ein Stein aufgrund seiner Schwere abwärts fällt, wenn ihm die Stütze entzogen wird.

Diese Erklärung ist in die Scholastik (auch bei Thomas) eingegangen und hat m.E. sicherlich Newtons Lehre von der Schwerkraft veranlasst, der sie für die Bewegung der Körper verantwortlich macht.

Die Form- und Bewegungsursache im eigentlichen Sinne, sowie mit ihr die Zweckursache, führt Aristoteles erst im Bereich der belebten Natur ein.

        Bacons Kritik an Aristoteles ist also nicht berechtigt. Umgekehrt ist Bacons Sicht auf die Natur kritikwürdig, da sie diese auf die materiellen Verhältnisse reduziert und damit die traditionellen Form- und Zweckursachen zu Idolen macht, die er in den Bereich der Metaphysik und d.h. für ihn des religiösen Glaubens verweist.

        Gegen die (sich auf Kant berufende) Kritik an den aristotelischen Ursachen, dass sie keinen Regress in infinitum ausschließen können, möchte ich bemerken, dass sie einen Begriff von Ursächlichkeit verwendet, der sie auf gesetzmäßige Abläufe von Phänomenen in Raum und Zeit verkürzt. Dagegen werden in der aristotelisch-thomistischen Tradition die Verhältnisse zwischen verursachtem Seienden und seiner Wesens- und Seinsursachen im stehenden Jetzt betrachtet, so dass sie nicht zu verursachten Dingen in zeitlicher Abfolge zurückgeht, sondern zu Ursachen sowie zu höheren Ursachen dieser Ursachen, was schnell zu einem Abschluss führen muss; denn der Rückgang kann nur ein solcher von den Naturursachen, als zweiten, zur ersten transzendenten Ursache, Gott, sein.

        Schließlich ist die fruchtbare Einsicht in den menschlichen Intellekt anzuerkennen, dass er die Zweckursache für die Zweckursache der gesamten Natur (!) ist. Als Christen denken wir an den biblischen Schöpfungsauftrag Gottes an die Menschen, sich die Erde untertan zu machen, was nicht heißen kann, die Natur auszubeuten und zu ruinieren, sondern sie in ihrer Naturfinalität zu erhalten, die ja die Grundlage für das Leben der Menschen und ihrer höheren Finalität ist.

        Ebenso fruchtbar ist die Einsicht, dass der menschliche Intellekt mit seiner Finalität der des Schöpfergottes untersteht, da sie u.a. auch jene interdisziplinäre Weite schenkt, die erforderlich ist, um die Frage von Evolution und Schöpfung erfolgreich zu erörtern.

 

 

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[1] Horst Seidl, Evolution und Naturfinalität, Hildesheim (Olms Verl.), 2008.

[2] Vgl. meine Abhandlung: Sein und Bewusstsein, Hildesheim 2001.

[3] Ausführlich untersucht sind die vier aristotelischen Ursachen in meiner Abhandlung: Beiträge zu Aristoteles' Naturphilosophie, Amsterdam 1995 (Edition Rodopi).

[4] Clemens Baeumker, Das Problem der Materie in der griechischen Philosophie, Münster 1890.